Berlin – Die Anzahl der Strafverfahren bei den Staatsanwaltschaften hat einen neuen Höchststand erreicht, während die Zahl der erhobenen Anklagen vor deutschen Gerichten auf einen historischen Tiefstand gesunken ist. Dies geht aus einer Auswertung der Deutschen Richterzeitung hervor, über die die Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Sonntag berichteten.
Den Angaben zufolge haben die Strafverfolgungsbehörden bundesweit im Jahr 2022 mehr als 5,2 Millionen Fälle bearbeitet. Dies entspricht einem Anstieg von knapp 308.000 Verfahren im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings wird laut der Richterzeitung nur noch jedes 15. Strafverfahren mit einer Anklage vor Gericht abgeschlossen, insgesamt 340.243 Fälle im Jahr 2022. Vor zehn Jahren war dies bei jedem zehnten Strafverfahren der Fall, damals wurden insgesamt 485.525 Anklagen erhoben.
„Die Justizstatistiken zeigen sehr deutlich, dass eine personell überlastete Strafjustiz mit ihren wachsenden Aufgaben kaum noch Schritt halten kann“, sagte Sven Rebehn, der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB). Der DRB, in dem auch Staatsanwälte organisiert sind, gibt an, dass bundesweit 1.500 Juristen in Staatsanwaltschaften und Strafgerichten fehlen. Laut der Deutschen Richterzeitung müssen Tatverdächtige aufgrund der langen Verfahrensdauer immer öfter aus der Untersuchungshaft entlassen werden.
Im Jahr 2022 wurden mindestens 73 Haftbefehle aus diesem Grund aufgehoben, im Jahr 2021 waren es noch 66 Fälle und im Jahr 2020 40 Fälle. „In den letzten fünf Jahren wurden mehr als 300 Tatverdächtige wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen“, teilte der Richterbund mit. Erstinstanzliche Strafverfahren vor den Landgerichten dauern durchschnittlich 8,6 Monate, laut dem DRB ein neuer Höchstwert. Auch die durchschnittliche Verfahrensdauer vor den Amtsgerichten hat sich auf fast sechs Monate erhöht.
„Es ist dringend erforderlich, dass Bund und Länder die steigenden Anforderungen in der Strafverfolgung angemessen mit Personal unterstützen“, sagte DRB-Geschäftsführer Rebehn. Die Fallzahlen bei den Staatsanwaltschaften steigen, die Strafverfahren werden immer aufwendiger, zum Beispiel durch das rasante Wachstum digitaler Beweismittel. Die Politik verschärfe die angespannte Lage zusätzlich mit einer Gesetzgebung, die die Regelungsdichte und Detailtiefe des Strafrechts seit Jahren erhöhe.