Komplementäre Krebsmedizin im Fokus | ONKO-Internetportal
Erste S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie
Die Definition und Abgrenzung des Begriffs Komplementärmedizin zu Alternativmedizin ist oft unklar. Komplementärmedizin umfasst Methoden, die zusätzlich zur Schulmedizin angewendet werden, während Alternativmedizin oft eine vollständige Abwendung von schulmedizinischen Vorgehensweisen bedeutet. Um mehr Klarheit zu schaffen, wurde eine neue Leitlinie entwickelt. Diese stellt sicher, dass komplementärmedizinische Verfahren genau betrachtet werden, da Patienten, die auf Alternativmedizin zurückgreifen, in der Regel keine schulmedizinische Behandlung in Anspruch nehmen. Dies betont die Wichtigkeit der Ergänzung durch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, wie ein an der Leitlinie beteiligter Fachkollege erläutert.
Krebspatient*innen und komplementäre Behandlungen
Bei der Behandlung von Krebserkrankungen sind viele Patient*innen daran interessiert, aktiv zu ihrer Therapie beizutragen und suchen nach Möglichkeiten, ihren Heilungsprozess zu unterstützen. Statistiken zeigen, dass etwa die Hälfte der Betroffenen komplementäre Behandlungen in Erwägung zieht. Diese Tendenz ist häufig bei jüngeren und weiblichen Patient*innen festzustellen. Zudem wird durch die abnehmende Kostenübernahme durch gesetzliche Krankenkassen offensichtlich, dass soziale Faktoren eine Rolle bei der Entscheidung für komplementäre Medizin spielen. Es ist vorstellbar, dass nicht alle Patient*innen sich die gewünschten Behandlungen oder Produkte leisten können. Oftmals nehmen diese Therapien Menschen in Anspruch, in der Hoffnung, die Wirksamkeit der schulmedizinischen Interventionen wie chemotherapeutische Therapien zu unterstützen und Nebenwirkungen zu mindern. Um eine fundierte Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern dies tatsächlich der Fall ist, wird die erste S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin, die im Juli 2021 veröffentlicht wurde, genauer untersucht. Sie soll gesicherte, evidenzbasierte Antworten liefern.
Die S3-Leitlinie: Aufbau und Zielgruppe
Eine S3-Leitlinie ist eine systematisch entwickelbare Empfehlung, die darauf abzielt, die Entscheidungsfindung in der klinischen Praxis evidenzbasiert zu unterstützen. Sie basiert auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und bewährten Behandlungsmethoden. Diese spezielle Leitlinie behandelt Methoden und Substanzen aus der Komplementärmedizin und bewertet sie hinsichtlich ihrer evidenzbasierten Wirksamkeit bei onkologischen Patient*innen. Hauptzielgruppe sind neben Onkolog*innen auch Haus- und Fachärzt*innen, die Patienten während ihrer Krebserkrankung unterstützen. Auch medizinisches Personal kann von der Leitlinie profitieren, da sie als Nachschlagewerk dient. Die Erstellung der Leitlinie erfolgte in Zusammenarbeit mit namhaften Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Patientenvertretern und wurde durch die Deutsche Krebshilfe finanziert.
Inhalt der Leitlinie
Besonders berücksichtigt wurden Verfahren mit einer hohen Verbreitung und einer ausreichenden Datenbasis. Die Ergebnisse der S3-Leitlinie umfassen 155 Empfehlungen und erstrecken sich über mehr als 600 Seiten. Diese sind nach Symptomen wie Appetitlosigkeit oder Schmerz klassifiziert. Die Leitlinie ist in vier thematische Bereiche gegliedert:
- Medizinische Systeme: Hierunter fallen Ansätze wie Akupunktur und Homöopathie, die eigene medizinische Theorien zur Behandlung verfolgen.
- Mind-Body-Verfahren: Dazu zählen Techniken wie Meditation oder Yoga, die die Selbstwahrnehmung fördern.
- Körpertherapien: Dazu gehören Therapien, die den Bewegungsapparat beeinflussen, wie Chiro- oder Osteopathie.
- Biologische Therapien: Hierunter fallen Nährstoffe, spezielle Diäten und Heilpflanzen.
Herausforderungen bei der Bewertung von Komplementärmedizin
Die Bewertung von komplementärmedizinischen Verfahren gestaltet sich aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Daten als schwierig. Die Grundlage für die S3-Leitlinie besteht ausschließlich aus Studien, die mit onkologischen Patient*innen durchgeführt wurden. Die oftmals niedrige Teilnehmerzahl und das Fehlen adäquater Kontrollgruppen stellen zusätzliche Herausforderungen dar. Daher ist die Interpretation der Studienergebnisse oft unzureichend. Darüber hinaus konnten nur begrenzt Aussagen zur Wirksamkeit der Behandlungen made werden.
Es existieren jedoch auch Studien, die darauf hinweisen, dass einige komplementärmedizinische Methoden positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen haben können. Die Datenerhebung zu möglichen Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Komplementärmedizin ist hingegen limitiert. Dies führt zu der Problematik, dass oft keine abschließende Bewertung einzelner Methoden möglich ist.
Interaktionen und Risiken
Arzneimittelinteraktionen in der Onkologie sind von erheblicher Bedeutung. Bei unsachgemäßer Anwendung komplementärer Behandlungen könnte die Wirksamkeit einer Tumortherapie beeinträchtigt werden. Ein Beispiel ist die Einnahme von Vitamin C zur Meldung von Nebenwirkungen in der Strahlentherapie. Diese könnte allerdings auch Krebszellen schützen. Auch die Bioverfügbarkeit schulmedizinischer Therapien kann durch komplementäre Mittel erhöht werden, was Überschneidungen in der Behandlung auslösen kann. Beispielsweise kann Johanniskraut, das gegen Nebenwirkungen eingenommen wird, deren Wirkung verstärken und die Lichtempfindlichkeit erhöhen, was bei Bestrahlungen zu einem erhöhten Risiko von Hautschäden führen kann.
Darüber hinaus können auch die komplementären Therapien Nebenwirkungen hervorrufen, was die Problematik weiter verkompliziert. Insgesamt ist der Umgang mit komplementärmedizinischen Verfahren im klinischen Alltag komplex und erfordert umfassende Schulungen und eine detaillierte Verwahrung in der Ärztepraxis.
Praktische Anwendung der Leitlinie
Der Anhang der Leitlinie stellt einen strukturierten Fragebogen zur Verfügung, der es ermöglicht, die Nutzung komplementärmedizinischer Verfahren zu erfassen. Dies geschieht im Rahmen von Gesprächen zwischen Patient*innen und behandelnden Ärzt*innen, um Interessen zu klären. Diese Vorgehensweise ist wichtig, damit Ärzt*innen rechtzeitig über den Einsatz komplementärmedizinischer Verfahren informieren können und ihren Patienten konkrete Empfehlungen geben können.
Empfehlungen für Ärzt*innen
- Frühzeitige und wiederholte Aufklärung aller Krebspatient*innen zu komplementärmedizinischen Verfahren.
- Befragungen zu aktueller und geplanter Anwendung komplementärer Therapien.
- Verweis auf verlässliche Informationsquellen für Patienten.
- Hinweise auf mögliche Interaktionen zwischen komplementären Anwendungen und schulmedizinischen Therapien.
Fazit: Bedeutung der S3-Leitlinie
Die Resonanz aus der Ärzteschaft zur neuen S3-Leitlinie ist positiv. Diese liefert erstmals ein Nachschlagewerk, welches konkrete Handlungsempfehlungen zu komplementärmedizinischen Verfahren bietet. Trotz der weit verbreiteten Auffassung, dass für viele Methoden keine evidenzbasierte Wirksamkeit nachgewiesen werden kann, ist es entscheidend, die Diskussion über komplementäre Medizin fortzusetzen und anhand sicherer Standards vorzunehmen. Neben den bereits genannten Empfehlungen wird im nächsten Jahr eine Patientenleitlinie veröffentlicht, die die Inhalte auch für Betroffene ausdrücklich verständlich darstellen wird.

