Digitalisierung im Gesundheitswesen: Fresenius‘ Rolle
Die Zukunft der deutschen Krankenhäuser: Ein Blick über die Grenze
Die Diskussion um das Gesundheitssystem in Deutschland wird zunehmend von internationalen Vergleichen geprägt. Michael Sen, Vorstandsvorsitzender von Fresenius, spricht über die Fortschritte der spanischen Klinikkette Quirónsalud, die zur Fresenius-Gruppe gehört. Hierbei hebt er hervor, dass Patienten bereits von zu Hause aus einchecken können und die Wartezeiten in den Kliniken auf maximal 15 Minuten begrenzt sind. Im Gegensatz zur traditionellen Anamnese in Deutschland, bei der häufig Klemmbretter verwendet werden, greifen die Ärzte in Spanien auf moderne Technologie wie iPads zurück, die mit einer KI-gestützten App namens Scribe ausgestattet sind. Diese App zeichnet das Gespräch zwischen Arzt und Patient auf, verschriftlicht es und fasst die wesentlichen Inhalte zusammen.
Solche innovativen Ansätze scheinen in Deutschland noch nicht vollständig umgesetzt zu sein. Sen beschreibt, dass die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems hinterherhinkt und viele Daten durch strenge Datenschutzbestimmungen nicht effizient ausgetauscht werden können. Der Übergang von stationärer zu ambulanter Versorgung zeigt dabei Entwicklungsbedarf. In Deutschland erhält ein Patient bei Verlassen des Krankenhauses einen Arztbrief, während in Spanien die Patientendaten digital übertragen werden und für zukünftige Behandlungen bereitstehen.
Hohe Ausgaben und Gesundheitslage in Deutschland
Trotz der hohen Pro-Kopf-Ausgaben, die Deutschland für Gesundheitsversorgung aufbringt, zählt das Land zu den teuersten Gesundheitssystemen weltweit. Michael Sen weist darauf hin, dass die Ineffizienz des Systems langfristig nicht tragbar ist. Der demografische Wandel führt dazu, dass die Bevölkerung älter wird, jedoch nicht immer gesund altert. Kritische und chronische Erkrankungen nehmen zu, was Druck auf die Gesundheitsressourcen ausübt.
Eine Analyse der OECD zeigt interessante Zahlen: Deutschland hat im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten 4,5 praktizierende Ärzte und 7,8 Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner. Diese Zahlen werfen Fragen hinsichtlich der Effektivität und möglichen Überkapazitäten des Systems auf. Zudem zeigt der Bericht, dass Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Alkoholmissbrauch in Deutschland stark verbreitet sind, was die gesundheitliche Gesamtlage weiter belastet.
Die Forderung nach digitaler Transformation
Michael Sen fordert eine stärkere Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Die Studie von Gesundheitswissenschaftlern belegt, dass das deutsche System, obwohl es einen dezentralen Vorteil in seiner Flexibilität aufweist, in der Koordination zwischen den verschiedenen Sektoren versagt. Ein zentraler Mangel an strategischer Ausrichtung im öffentlichen Gesundheitswesen wird als Hauptgrund für die gegenwärtigen Herausforderungen angesehen. Das bestehende System fokussiert sich vor allem auf die Behandlung akuter Erkrankungen, während präventive Maßnahmen wenig Beachtung finden.
Im Jahr 2023 sanken die Gesundheitsausgaben in Deutschland leicht auf 500,8 Milliarden Euro. Diese Entwicklung kann im Wesentlichen auf das Auslaufen der Corona-Maßnahmen zurückgeführt werden. Ein bedeutender Anteil dieser Ausgaben entfällt auf gesetzliche Krankenkassen, die durch ihre Empfehlungen zur Kostenreduktion ebenfalls zur Reduktion der Ausgaben beitragen möchten. Ein alleiniger Blick auf die Krankenkassen führe jedoch zu verzerrten Einsichten über die tatsächlichen Herausforderungen, erklärt Sen. Ein umfassendes Reformkonzept müsse entwickelt werden, um Bürokratie abzubauen und eine digitalisierte Infrastruktur zu etablieren.
Die Strategie von Fresenius und der Blick nach vorn
Michael Sen, seit Oktober 2022 Vorstandsvorsitzender von Fresenius, hat mit dem Programm „Future Fresenius“ bereits bedeutende Veränderungen eingeleitet. Untergliedert in drei Phasen—Revitalize, Rejuvenate und Reimagine—zeigt Sen einen klaren Plan zur Umstrukturierung des Unternehmens. Er hat bereits viel Bürokratie abgebaut und die Effizienz gesteigert. Während die erste Phase der Wiederbelebung erfolgreich abgeschlossen wurde, befindet sich das Unternehmen nun in der Verjüngungsphase.
In seiner Bewertung der Rolle von Fresenius in den USA äußert Sen Optimismus. Das Unternehmen spielt eine entscheidende Rolle in der Patientenversorgung und ist zuversichtlich, dass es sich mit der US-Regierung hinsichtlich der Zölle auf Produkte einigt. Ein geschätzter Mangel an bestimmten Medikamenten in den USA könnte durch Zollmaßnahmen weiter verstärkt werden, weshalb eine Einigung für die Versorgung der Bevölkerung wichtig ist.
Internationale Herausforderungen und europäische Souveränität
Ein zentrales Anliegen von Sen ist die Abhängigkeit von Wirkstoffen aus dem globalen Markt, insbesondere aus China. Diese Problematik wurde intensiver thematisiert, da die Abhängigkeit von kritischen Medikamenten und deren Herstellung in einem Land wie China die europäische Gesundheitssysteme gefährden könnte. Sen spricht sich für den Aufbau einer eigenen Produktion in Europa aus, um die Abhängigkeiten zu verringern und die europäische Souveränität zu stärken. Strategien wie Bürokratieabbau, Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz werden als wesentliche Faktoren identifiziert, um die bestehenden Herausforderungen im Gesundheitswesen erfolgreich zu bewältigen.
Fazit: Ein notwendiger Wandel im Gesundheitssystem
Die Entwicklung des deutschen Gesundheitssystems steht vor großen Herausforderungen. Der Vergleich mit internationalen Systemen zeigt notwendige Anpassungen in der Digitalisierung und der Verwaltung. Michael Sen hebt die Dringlichkeit hervor, diese Veränderungen umzusetzen, um nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, sondern auch wirtschaftliche Ineffizienzen zu beseitigen. Die kommenden Jahre könnten entscheidend dafür sein, wie sich das Gesundheitssystem in Deutschland transformiert und an die Bedürfnisse einer älter werdenden Gesellschaft anpasst.

