EU verstärkt Druck auf die Regierung
Rückgang der Tarifbindung in Deutschland
Die Tarifbindung in Deutschland befindet sich auf einem bemerkenswerten Rückgang. Laut den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes hatten im vergangenen Jahr lediglich etwa 49 Prozent der Beschäftigten einen Tarifvertrag. Dies stellt einen erheblichen Rückgang im Vergleich zu 1998 dar, als noch 76 Prozent im Westen und 63 Prozent im Osten tarifgebunden waren. Diese Entwicklung gibt Anlass zur Sorge, insbesondere vor dem Hintergrund des politischen Willens, die Tarifverträge in Deutschland zu stärken und die Bedingungen für Arbeitnehmer zu verbessern.
Die gegenwärtige Situation hat dazu geführt, dass die Regierungsparteien Union und SPD die Absicht geäußert haben, die Tarifbindung wieder zu erhöhen. Im Koalitionsvertrag wird betont, dass „Tariflöhne wieder die Regel werden und nicht die Ausnahme“ darstellen sollen. Diese Aussage verdeutlicht den politischen Willen, die Verhandlungen über Tarifverträge in Deutschland voranzutreiben und die Rechte der Arbeitnehmer zu stärken.
Bundestariftreuegesetz als Lösung
Ein zentrales Element der geplanten Reformen ist das sogenannte Bundestariftreuegesetz. Ziel des Gesetzes ist es, sicherzustellen, dass Unternehmen für öffentliche Aufträge nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie ihre Mitarbeiter nach Tarif zahlen oder vergleichbare Arbeitsbedingungen bieten. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr im Bundestag verabschiedet werden. Diese Initiative wird jedoch nicht nur von Befürwortern unterstützt, sondern stößt auch auf erhebliche Kritik.
Die Arbeitgebervertretung BDA hat Bedenken geäußert, dass das Gesetz zu einer Art „Tarifzensur“ führen könnte. Kritiker innerhalb der Regierung und von Gewerkschaften hingegen bemängeln, dass das Gesetz nicht weit genug gehe. Besonders umstritten ist die Regelung, dass nur Aufträge ab einem Volumen von 50.000 Euro unter das Gesetz fallen, während Bereiche wie die Bundeswehr und Sicherheitsdienste ausgenommen sind, was zu Widerstand führt.
EU-weite Initiativen zur Stärkung der Tarifbindung
Die Gewerkschaften wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) drängen auf eine schnellere Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung in Deutschland. Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat die Notwendigkeit unterstrichen, dass EU-Staaten, deren Tarifbindung unter 80 Prozent liegt, Maßnahmen zu deren Stärkung ergreifen müssen. Diese Vorgaben fordern einen Nationalen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen, der bis Ende Dezember aufgestellt werden soll.
Der DGB hebt hervor, dass Tarifverträge grundlegende Standards für einen fairen Umgang am Arbeitsmarkt setzen und kritisiert, dass viele Unternehmen, auch große wie Adidas und Lieferando, sich nicht ausreichend an Tarifverträgen orientieren. Die Forderung nach konkreten gesetzlichen Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung wird immer lauter, da die Arbeitgeber zunehmend in der Verantwortung gesehen werden, angemessene Löhne zu gewährleisten.
Die Sichtweise der Arbeitgeber auf Tarifverträge
Die Arbeitgeberseite äußert sich jedoch skeptisch zur Erhöhung der Tarifbindung. Vertreter der BDA argumentieren, dass die EU-Vorgaben lediglich zur Förderung von Tarifverhandlungen aufrufen, jedoch nicht deren Verpflichtung beinhalten. Zudem wird betont, dass politische Eingriffe in die Tarifautonomie kontraproduktiv seien und der Rückgang der Tarifbindung eher auf interne Faktoren wie die Komplexität der Tarifverträge zurückzuführen sei.
Einigen Ökonomen zufolge sind die flexiblen Entlohnungsmodelle neuerer Unternehmen, insbesondere im Start-up-Bereich, ein Grund für die abnehmende Attraktivität traditioneller Tarifverträge. Sie plädieren für eine Anpassung der Regelungen, um diese auch für modernere Unternehmensstrukturen ansprechender zu gestalten. Vertreter der Arbeitgeberseite befürchten, dass eine gesetzliche Regelung, die eine Erhöhung der Tarifbindung zur Folge hätte, ihrer Selbstregulierung in der Tarifgestaltung entgegenwirken könnte.
Initiativen zur Förderung von Gewerkschaftsmitgliedschaften
Angesichts der Herausforderungen im Bereich der Tarifbindung wird auch darüber nachgedacht, die Mitgliedschaft in Gewerkschaften attraktiver zu gestalten. Um die Tarifbindung zu stärken, sollen durch verschiedene Maßnahmen, wie das digitale Zugangsrecht für Gewerkschaften in Unternehmen, die Kontaktaufnahme zu potenziellen Mitgliedern erleichtert werden. Zusätzlich sollen steuerliche Anreize dazu beitragen, die Mitgliedschaft in Gewerkschaften zu fördern.
Die Bundesregierung strebt an, das parlamentarische Verfahren für das Tariftreuegesetz noch in diesem Jahr abzuschließen, ungeachtet der Bedenken seitens der Arbeitgeber. Letztlich bleibt abzuwarten, inwieweit diese Bemühungen erfolgreich sein werden und welche Auswirkungen sie auf die Tarifbindung in Deutschland haben.
Fazit: Die Zukunft der Tarifbindung in Deutschland
Die diskutierten Maßnahmen und Gesetze zeigen den politischen Willen, die soziale Absicherung der Arbeitnehmer durch Tarifverträge zu verbessern. Die Rückkehr zu einer höheren Tarifbindung wird als notwendig erachtet, um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Dennoch wird die Effektivität der geplanten Maßnahmen von verschiedenen Seiten unterschiedlich bewertet. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, ob die geplanten Reformen tatsächlich zu einer spürbaren Verbesserung der Tariflandschaft führen.

