Das Produktivitätsparadoxon: Hohe Investitionen, geringes Wachstum

In Deutschland sind die Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) auf Rekordhöhe gestiegen, jedoch bleibt ein signifikantes Wachstum der Produktivität aus. Ökonomen bezeichnen dieses Phänomen als Rätsel, da trotz massiver finanzieller Mittel, die in KI und Automatisierung fließen, die Produktivität nur marginal wächst. Prognosen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für den Zeitraum von 2025 bis 2030 deuten auf ein durchschnittliches jährliches Wachstum von lediglich 0,9 Prozent hin. Diese Diskrepanz zwischen dem technologischen Potenzial und der tatsächlichen Wertschöpfung nimmt kontinuierlich zu. Das Hauptproblem liegt nicht an der mangelnden Verfügbarkeit von Technologien, sondern an der Unfähigkeit, diese strategisch und effektiv zu nutzen.

Fachkräftemangel 2.0: Das qualitative Mismatch-Problem

Der Fachkräftemangel hat sich in Deutschland weiter verschärft, wie der DIHK-Fachkräftereport zeigt. Etwa 43 Prozent der Unternehmen berichten, dass sie offene Stellen nicht besetzen können. Dabei hat sich die Problematik jedoch gewandelt. Es handelt sich zunehmend um ein qualitatives „Mismatch“, was bedeutet, dass Unternehmen spezifische Kompetenzen suchen, die auf dem Arbeitsmarkt in der geforderten Kombination nur schwer zu finden sind. Die technologische Entwicklung, insbesondere im Bereich der generativen KI, verändert die Anforderungen an Jobprofile schneller, als die bestehenden Ausbildungssysteme darauf reagieren können. Dies führt dazu, dass die Halbwertszeit von technischem Wissen oft weniger als drei Jahre beträgt. Die Belegschaft kann zwar gut ausgebildet sein, ist jedoch häufig nicht optimal auf die Zusammenarbeit mit KI vorbereitet. Ein einfaches Einführen von Tools, wie beispielsweise Microsoft Copilot, kann ohne angemessene Schulung sogar zu einem anfänglichen Rückgang der Produktivität führen.

Weiterbildung im Wandel: Vom Seminar zur Skills-Architektur

Die Dringlichkeit der Situation hat auch in der Wirtschaft zu einem Umdenken geführt. Die Investitionen in betriebliche Weiterbildung haben mit 46,4 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht. Dennoch reicht Geld allein nicht aus, um die Herausforderungen zu bewältigen. Der Trend wechselt von traditionellen Seminaren hin zu datengestützten „Skills-Architekturen“. Innovative Unternehmen nutzen KI-Tools, um die aktuellen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zu verwalten und gezielte Bildungsbedarfe zu identifizieren. Anstatt auf umfangreiche Kurse zu setzen, werden kürzere, praxisnahe Lerneinheiten favorisiert, die direkt in den Arbeitsprozess integriert werden. Darüber hinaus müssen Personalabteilungen den „Return on Learning“ nachweisen können – es zählt nicht die Anzahl der Schulungstage, sondern die nachweisbare Anwendung des Gelernten im Arbeitsalltag.

Der Wandel der Jobprofile: Vom Ausführer zum Orchestrator

Die fortschreitende Entwicklung zu autonomerer „Agentic AI“ hat tiefgreifende Auswirkungen auf Jobprofile. Mitarbeiter entwickeln sich vom Ausführer hin zum Orchestrator, was neue Kompetenzen erfordert. Wichtige Fähigkeiten, die künftig gefragt sein werden, umfassen: Evaluationskompetenz, um KI-Ergebnisse kritisch zu prüfen und nicht blind zu übernehmen; Prozessdesign, um alte, analoge Abläufe in logische Schritte für KI-nutzbare Prozesse zu überführen; und ethische Urteilsfähigkeit, um Verantwortung für Compliance und ethische Aspekte sicherzustellen. Forschungen belegen, dass Unternehmen, die KI lediglich als Effizienzwerkzeug betrachten, stagnieren, während solche, die das Kompetenzen ihrer Mitarbeiter gezielt ausbauen, signifikante Produktivitätssteigerungen erzielen.

Twin Transition: Doppelte Vorteile durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Ein oft vernachlässigter Ansatz ist die Verknüpfung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Der OECD Skills Outlook hebt hervor, dass die notwendigen Kompetenzen für beide Transformationen eng miteinander verbunden sind. Fähigkeiten wie analytisches Denken und Systemverständnis sind sowohl für die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks als auch für den effektiven Umgang mit KI von zentraler Bedeutung. Unternehmen, die ihre Qualifizierungsstrategien kombinieren, können ihre Belegschaft sowohl für Nachhaltigkeits-Reporting fit machen als auch die technologische Anpassungsfähigkeit stärken.

Internationaler Druck: Upskilling als Überlebensfrage

Im internationalen Vergleich steht Deutschland unter erheblichem Druck. Während die USA dank flexibler Märkte schneller auf Veränderungen reagieren können, wird Europa durch demografische Herausforderungen gebremst. Aufgrund des Rückgangs junger Talente wird die Qualifizierung der bestehenden Belegschaft nicht mehr als Option, sondern als Überlebensfrage angesehen. Experten warnen zunehmend vor einer wachsenden Kluft zwischen Unternehmen, die KI für Innovationen nutzen, und solchen, die hinter Basistechnologien zurückbleiben. Das IW optimistisch: Gelangt es deutschen Unternehmen, die Potenziale von KI durch gut ausgebildete Mitarbeiter zu heben, könnte das Produktivitätswachstum in den 2030er Jahren auf 1,2 Prozent ansteigen.

Fazit: Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Deutschland steht vor der Herausforderung, die Kluft zwischen technologischen Möglichkeiten und tatsächlichem Wachstum zu überwinden. Ein bedeutender Handlungsbedarf besteht darin, die Belegschaften gezielt weiterzubilden und die neuen Anforderungen an die Arbeitswelt anzugehen. Investitionen in Weiterbildung müssen durch maßgeschneiderte Ansätze ergänzt werden, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels und der sich wandelnden Jobprofile gerecht zu werden. Nur so kann das Potenzial von KI voll ausgeschöpft und die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten werden.