Warum das Waldsterben in Deutschland gut sein könnte – DW – 13.10.2024

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Warum das Waldsterben in Deutschland gut sein könnte – DW – 13.10.2024



Eine Fahrt durch den Harz in Mitteldeutschland fühlt sich an wie eine Reise durch eine postapokalyptische Landschaft. Reihenweise graue, trockene, nackte Bäume ragen wie ein Meer aus dünnen Nägeln in den Himmel. Der jahrzehntealte Wald hier ist innerhalb weniger Jahre zu einem Baumfriedhof geworden. „Nirgendwo sonst in Mitteleuropa kann man die Klimakrise so erleben wie hier im Harz“, sagt Roland Pietsch, Leiter des Nationalparks Harz.

Nicht nur im Harz – die Wälder in ganz Deutschland leiden unter einer Kombination aus Dürren, Stürmen und invasiven Schädlingen, heißt es im jüngsten Bericht der Bundesregierung über den Zustand der deutschen Wälder. Ähnlich sieht es in Polen, Tschechien und in Skandinavien aus. Und doch halten manche Fachleute den Verlust von Nadelwäldern langfristig für positiv.

Um zu verstehen, warum der Verlust von Wäldern in manchen Fällen eine gute Sache sein kann, müssen wir in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückspulen. Nach der Niederlage Deutschlands ordneten die Alliierten Mitte der 1940er Jahre an, dass das Land Reparationszahlungen leisten muss – teilweise in Form von Holz. Schätzungen zufolge wurden dafür bis zu zehn Prozent des gesamten deutschen Waldes abgeholzt. Um dies auszugleichen, pflanzten die deutschen Förster vor allem eine Baumart: die Fichte. Fichten wachsen schnell und gerade, was sie für die Holzproduktion und als Bauholz ideal macht. Bis heute wird der größte Teil dieser Wälder für die Holzproduktion genutzt, wobei die Forstwirtschaft ein bis zwei Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes (BIP) ausmacht. Fichten zählen nach wie vor zu den am häufigsten vorkommenden Baumarten in Deutschland. Diese Monokulturwälder sind jedoch nicht sehr gastfreundlich gegenüber anderen Pflanzen und Tieren – sie weisen eine deutlich geringere biologische Vielfalt auf als Mischwälder mit unterschiedlichen Baumarten. Und wie alle Monokulturen sind diese Nadelwälder sehr anfällig für Stressfaktoren, die im menschengemachten Klimawandel zunehmen, wie Trockenheit.

Dürreperioden, die weltweit immer häufiger werden, machen den Fichten besonders zu schaffen. Denn die Fichten wurden oft in Gebieten angepflanzt, die eigentlich zu trocken für sie sind. In der Natur kommt die Baumart sonst vor allem in höheren Regionen vor, in denen es gewöhnlich öfter regnet. Ihr Wurzelsystem ist sehr flach, und das bedeutet, dass sie keinen Zugang zu tiefergelegenen Wasservorräten haben. Was die Fichten schwächt, stärkt gleichzeitig eine andere Spezies: den Borkenkäfer. Das winzige Insekt ist nur ein paar Millimeter groß, aber es frisst sich unaufhörlich durch einen Großteil der deutschen und europäischen Wälder. Der Käfer bohrt Löcher in die Bäume und setzt Pheromone frei, um eine Partnerin ins Innere zu locken. Dort pflanzen sich die Käfer fort, das Weibchen legt ihre Eier in die Gänge unter der Rinde. „Ein Paar kann in einem Jahr bis zu 100.000 Nachkommen produzieren. Sie verbreiten sich wie ein Lauffeuer“, sagt Fanny Hurtig, Försterin im mitteldeutschen Thüringer Wald – und zeigt auf das zerfressene Innere einer einer Fichte, die vorzeitig abgeholzt werden musste. Das östliche Thüringen, drei Stunden südlich des Nationalparks Harz, ist eine der Regionen, in denen sich der Borkenkäfer am schnellsten ausbreitet. Ein gesunder Baum produziert normalerweise Baumharz, um Löcher abzudichten und sich vor den Käfern zu schützen. Doch durstige, schwache Bäume können das nicht. Die Käfer zerfressen in der Folge die Schichten des Baumstamms, die Nährstoffe und Wasser transportieren – und die Bäume sterben an Durst und Unterernährung.



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