Muss Deutschland zwischen Klima und Wirtschaft wählen? – DW – 17.02.2025

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Muss Deutschland zwischen Klima und Wirtschaft wählen? – DW – 17.02.2025



Arbeitsplätze, Einkommen und Deutschlands schwächelnde Wirtschaft sind wichtige Themen im Wahlkampf für die vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar – und einige Versprechen der Parteien gehen dabei zu Lasten des Klimaschutzes.

So sagte etwa Friedrich Merz, Spitzenkandidat der konservativen Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) mit großen Chancen auf das Kanzleramt, er werde Kohle- und Gaskraftwerke nur dann abschalten, wenn das die deutsche Industrie nicht schädige. Und selbst Parteien, die sich sonst aktiv für Klimaschutz einsetzen, halten sich damit im aktuellen Wahlkampf im Vergleich zu den vergangenen Wahlen 2021 auffällig zurück.

Es drohen also Wirtschaftsfragen dem Klimaschutz den Rang abzulaufen. Und das, obwohl ein Großteil der Bevölkerung nach Angaben der Klima-Allianz Deutschland, einem zivilgesellschaftlichen Bündnis für Klimaschutz, ihn begrüßen würde.

„Es zeigt sich bereits im Vorfeld der Bundestagswahlen, dass Klima und Wirtschaft wieder einmal gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Claudia Kemfert, Wirtschaftswissenschaftlerin und Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist die deutsche Wirtschaft zwei Jahre in Folge geschrumpft. Deutschlands exportorientierte Industriewirtschaft, die größte in Europa, wurde von hohen Energiepreisen sowie einer stagnierenden Nachfrage im In- und Ausland schwer getroffen. Die Autoindustrie, die traditionell als das Rückgrat der Wirtschaft gilt, verkündete Massenentlassungen infolge zurückgehender Umsätze und Profite.

Klimaschutzmaßnahmen seien nicht für diese Rezession verantwortlich, sagt Gunnar Luderer, Energie-Experte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Die Probleme der deutschen Wirtschaft sind von struktureller Natur und sie sind tieferliegend.“

Ein grundlegendes Problem sei dabei die Abhängigkeit von Gas aus Russland gewesen. Nach der russischen Invasion in die Ukraine sei es teuer gewesen, auf Alternativen umzuschwenken. Diese hohen Energiepreise haben die Wirtschaft auf zweierlei Arten geschädigt: Zum einen, weil Produktionskosten in energieintensiven Industriezweigen wie der Stahl- oder Chemieindustrie teurer wurden; zum anderen, weil die Heizkosten für die Bevölkerung explodierten.

Auch der internationale Wettbewerb und Chinas Vorstoß in neue Märkte, etwa in die Elektromobilität, hätten Deutschlands Wirtschaftsmodell geschwächt, so Luderer. „Die deutschen Autobauer waren sehr langsam und haben zu spät auf diesen neuen Trend reagiert. Und dafür zahlen wir jetzt den Preis.“

Während die Verkaufszahlen von E-Autos in Europa und den USA zurückgingen, boomt die Nachfrage in China weiterhin – fast die Hälfte aller E-Fahrzeuge werden dort gekauft.

„Die generelle Behauptung, dass Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft haben, stimmt nicht“, sagt Kemfert. Im Gegenteil: Gut durchdachter Klimaschutz sorge für enorme wirtschaftliche Vorteile. Das werde was oft unterschätzt.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Elektromobilität, Energiesparmaßnahmen im Gebäudesektor und eine bessere Energieeffizienz im Industriesektor erforderten zwar Investitionen, so Kemfert, sie schafften aber auch Werte und neue Jobs.

Im Sektor der Erneuerbaren Energien seien bislang rund 400.000 Arbeitsplätze in Deutschland entstanden, betont Kemfert. Die Beschäftigungszahlen seien im Zeitraum 2021-2022 um knapp 15 Prozent gestiegen, mit den schnellsten Wachstumsraten bei Solaranlagen und Wärmepumpen.

„Wenn Deutschland die Wirtschaft gegen das Klima ausspielt, riskieren wir den Verlust von Arbeitsplätzen, den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und hohe Kosten für fossile Brennstoffe“, warnt Kemfert.

Für Deutschland gebe es zuhauf wirtschaftliche Chancen, sich als weltweit führend in grünen Technologien wie der Windkraft, bei Wärmepumpen, der Elektromobilität oder dem Bereich Smart Control zu etablieren, also in der Frage, wie die Energienachfrage flexibler gestaltet werden könne, so Luderer.

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, ein Zusammenschluss von Firmen, macht sich für eine bessere Klimaschutzpolitik stark: Grüne Technologien seien zentral für Deutschlands zukünftigen Erfolg in der Industriebranche, heißt es vom BDI.

So stieg etwa der Strompreis nicht so stark an wie erwartet – dank der Erneuerbaren Energieträgern im Energiemix – ganz im Gegenteil zum Gaspreis.

Denn die Strompreise würden durch die teuerste Energiequelle in der Strombeschaffung hochgetrieben, erklärt Niklas Höhne, Wissenschaftler und Gründer des NewClimate Institute.

In der Regel sei Gas am teuersten. Die Kosten für erneuerbare Energien sinken laut Höhne dagegen, und zwar weltweit. „Es ist unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die die Preise für Strom verteuert, nicht das Wachsen der Erneuerbaren.“

Mehrere Parteien haben verkündet, dass sie das umstrittene Heizungsgesetz mit einem Aus für Öl- und Gasheizungen ebenso kippen wollen, wie das EU-Verbot für Autos mit Verbrennermotoren ab 2035.

Diese politische Unsicherheit hindere Firmen daran, langfristig zu planen, sagt Stefanie Langkamp, Geschäftsleiterin Politik bei der Klima-Allianz. „Wenn man mit Industrievertretern oder Gewerkschaftern spricht, dann sagen sie, dass dies eines der wichtigsten Aspekte ist, um für die Zukunft zu planen.“

So habe die Wärmepumpenindustrie,,,,,,,,, neue Mitarbeiter eingestellt, angelernt und Materialien beschafft, um ihre Kapazitäten hochfahren zu können. „Wenn wir nicht jetzt in den Klimaschutz investieren, dann spüren wir die Konsequenzen in Bezug auf die Wirtschaft und auch die Kosten des Klimawandels“, so Langkamp.

Verglichen mit dem Betrag, der jetzt für Klimaschutzmaßnahmen benötigt wird, um Emissionen zu senken und die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, wird uns der wirtschaftliche Schaden durch den Klimawandel sechsmal soviel kosten – dies haben Forschende jüngst in einer Studie im renommierten Wissenschaftsjournal Nature dokumentiert.

Allein im Jahr 2024 haben Extremwetterereignisse wie Stürme und Fluten in Deutschland schätzungsweise sieben Milliarden Euro Schaden verursacht.

Die Welt bewege sich in den nächsten Jahrzehnten in Richtung einer klimaneutralen Wirtschaft – und dabei seien bereits viele Fortschritte erzielt worden, sagt Stefanie Langkamp.

„Es mag verschiedene Geschwindigkeiten in manchen Ländern oder Industrien geben, aber wir sehen eine weltweite Bewegung und die wird nicht stoppen. Wenn jetzt nicht in den Klimaschutz investiert wird, dann wird das später zu Wettbewerbsproblemen führen.“

Die einzige Option für die deutsche Wirtschaft sei es, diese Herausforderungen und Gelegenheiten einer „grünen Wende“ aktiv anzunehmen, sagt Energie-Experte Luderer. „Es gibt keinen Weg zurück. Und das größte Risiko für die deutsche Wirtschaft ist, diese Wende zu verlangsamen oder zu stark auf Wirtschaftsmodelle zu setzen, die nicht mehr praktikabel sind.“



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