„Männer versuchen, den Schmerz auszuhalten, und sie sind meist nicht in der Lage, ihre Migräne und ihre Beschwerden zu beschreiben. Vor allen Dingen gehen sie viel später zum Arzt als Frauen“, sagt Hartmut Göbel von der Schmerzklinik in Kiel.
Bei Frauen sei das anders. Sie reagierten schneller und intensiver auf Reize und nähmen diese auch ernst. Männer hingegen deuten Migräneanfälle oft als starke Kopfschmerzen und versuchen, sie selbst in den Griff zu bekommen, indem sie etwa rezeptfreie Schmerzmittel einnehmen. Die Wirkung aber ist nur von kurzer Dauer.
Männer nehmen Migräne auf die leichte Schulter
Männer unterschätzen ihre Migräneattacken oft. Eine Folge kann sein, dass aus einer anfänglich episodischen Migräne eine chronische wird. Bei dieser Form haben Betroffene mindestens 15 Migräneanfälle im Monat und das über einen Zeitraum von etwa drei Monaten. Bei der episodischen Migräne hingegen ist die Anzahl der Attacken geringer, kann aber dennoch bis zu 14 Migräneanfälle im Monat betragen.
In der Gesellschaft wurde Migräne lange als reine Frauensache angesehen. Mittlerweile ist Migräne bei Männern auch Gegenstand der Forschung. So ist beispielsweise sicher, dass Migräneattacken bei Männern nicht so lange dauern wie bei Frauen und dass sie meist weniger schmerzhaft sind. Außerdem suchen Männer seltener und später Hilfe. „Frauen sind Schmerzexpertinnen, weil sie mit Schmerzen viel häufiger zu tun haben als Männer. Sie können besser mit einem Arzt über die Beschwerden reden und diese auch besser beschreiben. Das können Männer nicht so gut“, sagt Göbel.

Weltweit erkranken jährlich etwa 14 bis 15 Prozent der Bevölkerung an Migräne. Sie ist eine der großen Volkskrankheiten. „Migräne tritt weltweit mit ähnlicher Häufigkeit auf, zumindest in den Ländern mit westlichem Lebensstil. Es gibt aber auch Regionen, wie beispielsweise in Afrika, wo die Zahlen geringer sind“, sagt Göbel. Das hänge dann mit der wissenschaftlichen Methodik zusammen.
Migräne ist ein eigenes Krankheitsbild
Gerade Männer glauben, dass es einen spezifischen Grund für ihre starken Kopfschmerzen geben muss. Diese Auffassung aber sei überholt, so Göbel. „Viele sind beispielsweise mal davon ausgegangen, dass Zitrusfrüchte, Schokolade oder Käse Trigger für Migräneanfälle sein könnten, und dass man Attacken vermeiden könne, indem man auf diese Lebensmittel verzichte.“
Natürlich gebe es bestimmte Lebensmittel, die Kopfschmerzen auslösten. Dazu gehörten Glutamate, Nitrate und Alkohol. „Das ist dann aber keine Migräne. Das sind sogenannte substanzbezogene Kopfschmerzen, aber nicht die primäre Migräne. Die ist genetisch bedingt“, so der Schmerzspezialist.
Man wisse heute, dass es 38 Risikogene gebe und 44 Genvarianten. „Die Genvarianten steuern wichtige Vorgänge in unserem Körper, u.a. wie schnell man denkt, wie tief man fühlt, wie schnell man Reize wahrnimmt.“ Dazu gehören auch Schmerzen, und die können das Leben zur Hölle machen und die Betroffenen für Stunden oder sogar für Tage handlungsunfähig machen.
Hormone spielen eine Rolle
Hormonelle Veränderungen haben ebenfalls einen Einfluss auf die Entstehung einer Migräneattacke. Bei Frauen ist das extremer als bei Männern. So kann ein plötzlicher Abfall des Östrogenspiegels dazu führen, dass das Gehirn übermäßig erregbar ist und eine Migräne auslöst. Während Östrogen die Nerven anregt, ist bei Testosteron das Gegenteil der Fall.
Einige Forschungen haben gezeigt, dass bei Männern, die unter Migräne leiden, der Östrogenspiegel erhöht ist und das Testosteron reduziert. Die genauen Zusammenhänge müssen aber noch genauer erforscht werden. Neben hormonellen Ursachen kommen Stress, wenig Schlaf und ungesunde Lebensweise als Trigger infrage. Hierbei gilt das gleiche wie bei so vielen Erkrankungen: auf die Ernährung achten, ausreichend schlafen und sich bewegen.
Es gibt gefährliche Begleiterkrankungen
Oft haben Männer wie Frauen, die unter Migräne leiden, auch mit anderen Erkrankungen zu kämpfen, die zusammen mit der Migräne auftauchen. Diese sogenannten Komorbiditäten können beispielsweise koronare Herzerkrankungen sein, Angstzustände und Schlafstörungen. Bluthochdruck tritt vor allem bei Männern im Zusammenhang mit Migräne auf und ist ein Risikofaktor für einen Schlaganfall. Männer entwickeln darüber hinaus häufiger Depressionen. Die wiederum können Migräneattacken auslösen, weil sie für den Körper Stress bedeuten, ein Teufelskreis also.

Was haben Gemälde von Picasso mit Migräne zu tun?
Was manchen vielleicht etwas esoterisch erscheinen mag, ist oft Bestandteil einer Migräne: die Aura. Die fallen bei Männern meist stärker aus als bei Frauen. „Männer haben oft komplexe Auren. Oftmals kommt es auch zu Auren ohne nachfolgenden Kopfschmerz. Die Betroffenen haben dann Sprach- oder Konzentrationsstörungen oder auch Zickzack-Linien im Gesichtsfeld „, so Göbel. Eine solche Aura ist in den meisten Fällen allerdings relativ kurz und kann etwa 20 Minuten dauern.
Darunter litten auch einige bekannte Persönlichkeiten. Pablo Picasso etwa habe seine Migräne-Auren gemalt. „Sie finden in vielen seiner Bilder diese Zick-Zack-Linien. Die Vertikalverschiebung seiner Gesichter ist ebenfalls ein Charakteristikum seines Malstils“, erklärt Göbel.