„Meiner Meinung nach machen viel zu wenige Leute was für den Klimaschutz. Ich finde, es wird viel zu viel geredet und zu wenig getan“ – Laura (16), Veronika (13), Luca (11) und Jimmi (11) sind aus dem „Berghäusle“, einer Jugendhilfeeinrichtung in Bayern, in die Großstadt Frankfurt gekommen.
Sie sprechen beim Fachtag „Klimakrise als Gefährdung der Kinderrechte“ des katholischen Sozialverbands Caritas im November vor mehr als 120 Erwachsenen, die in der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten. Die informieren sich und diskutieren über die Auswirkungen der Klimakrise auf Kinder, Gesundheit, über Klimaangst und ökologische Kinderrechte. 2023, das zeichnet sich ab, wird das heißeste Jahr, das je gemessen wurde.
Klimakrise trifft Ärmere und Kinder stärker
Der Deutsche Caritasverband beschäftigt sich intensiv mit Klimaschutz. Warum eigentlich? Klimapolitik sei eine zutiefst soziale Frage, sagt Astrid Schaffert, Referentin für soziale Klimapolitik: „Die Einkommensärmeren sind nicht die, die die Klimakrise verursachen. Sie sind aber – global betrachtet und auch in Deutschland – diejenigen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind.“ Sie wohnten häufiger an stark befahrenen Straßen mit vielen Abgasen und wenig Grünflächen, in Wohnungen, die sich im Sommer stark aufheizen.
Zudem sei die deutsche Klimapolitik bisher sozial ungerecht: Verbrauchsabgaben wie die CO2-Steuer belasten Einkommensärmere stärker als Wohlhabendere, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie- und Heizkosten ausgeben müssen.
Kinder leiden schon jetzt stark unter der Klimakrise, sagt Schaffert. Ihr Organismus kann Hitze nicht gut verarbeiten. Sie warnt: „Wenn die heute 10-Jährigen 30, 40, 50 sind, werden die globalen Temperaturen nochmal deutlich angestiegen sein“ – mit noch mehr Extremwetter, Hitze, Dürre oder Überflutungen. Kinderrechte bedeuten, „dass sie das Recht haben, in einer intakten Umwelt aufzuwachsen“.
Die Verantwortung haben die Erwachsenen
„Ich mach mir Sorgen, dass wir bald nicht mehr Fußball spielen können“, sagt Luca aus Bayern. Sein Training wurde schon wegen Hitze abgesagt. „Und ich find’s blöd, dass die Pflanzen austrocknen und dass es im Sommer so heiß ist, dass man richtig schnell Sonnenbrand kriegt.“ Auch Laura macht sich Gedanken: „Die Kinder, die nach uns kommen, denen wird’s ja noch schlechter gehen als uns.“
Selina Bitzer leitet das Berghäusle. Sie sieht es als ihre Aufgabe, die Kinder in ihren Sorgen zu begleiten, die Verantwortung aber bei den Erwachsenen zu lassen, sagt sie. „Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass man Kinder und Jugendliche auf den Klimawandel vorbereitet – wie sie damit in Zukunft leben können und was man tun kann, um noch ein bisschen abzuwenden.“ Sie sollen sich nicht ohnmächtig fühlen, sondern Selbstwirksamkeit erfahren.
Die Kinder im Berghäusle sparen Strom, Wasser beim Duschen und Wäschewaschen, essen wenig Fleisch, vermeiden Plastik und kaufen gebrauchte Kleidung. Luca zeigt auf seine Schuhe: „Sehen doch cool aus!“ Die Zuschauer in Frankfurt klatschen. Sie klatschen auch, als er kritisiert, dass es in Berlin mehr Platz für Autos als für Kinder gebe. Die Kinder fordern: „Erwachsene sollten auch mehr laufen“ und „Ich wünsche mir, dass ihr alle mehr radelt.“
Klimakrise schadet der Gesundheit
Diejenigen also, die die Klimakrise am wenigsten verursachen, leiden am stärksten darunter: die Mehrheit aller Menschen im sogenannten Globalen Süden, die weit weniger Treibhausgase verursachen als reiche Industriestaaten, innerhalb der Länder der ärmere Teil der Bevölkerung – und Kinder.
Kinder – und ganz besonders Babys und Kleinkinder – sind stark gefährdet durch Hitze, UV-Strahlung, Feinstaub, bodennahes Ozon, Mikroplastik und Schadstoffe aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen, stellt die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrie bei KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit) fest. Mit der Erwärmung nehmen Hautkrebs, Asthma oder Allergien zu, hitzebedingte Krankheiten breiten sich aus. Dazu kommen psychische Belastungen und Zukunftsängste.
Ökologische Kinderrechte – theoretisch ist alles geregelt
Dabei gibt es Gesetze und internationale Abkommen, um Kinder zu schützen. Barbara Schramkowski, Professorin für Soziale Arbeit an der DHBW (Duale Hochschule Baden-Württemberg) nennt als Beispiel den neuen „Allgemeinen Kommentar Nr. 26“ zur UN-Kinderrechtskonvention. Er verlangt die verbindliche Beachtung ökologischer Kinderrechte, den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien und die Perspektive von Kindern in jeder Umweltentscheidung.
Im deutschen Grundgesetz heißt es in Artikel 20a: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“. Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 im Urteil zum Klimaschutzgesetz verlangt, die Reduktion der Treibhausgasemissionen auch nach 2030 klar zu regeln, sonst verletze die Regierung die Freiheitsrechte künftiger Generationen.
Ökologische Gewalt gefährdet Kinder
Für das Wohl von Kindern sind zunächst die Eltern zuständig. Wo Probleme sind, soll die Kinder- und Jugendhilfe für gute Lebensbedingungen sorgen. Schramkowski sagt: „Das können wir nur noch tun, wenn wir uns auch um Klimaschutz und Biodiversität kümmern.“
Die Wissenschaftlerin erläutert: „Wir arbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe oft mit dem Bild des Thermometers. Wenn Kinder und Jugendliche existenziell gefährdet sind, zum Beispiel durch häusliche Gewalt, sagt man, man sei im roten Bereich. Wir sind in den ökologischen Krisen auch im roten Bereich.“ Gegen ökologische Gewalt, die Zerstörung der Lebensgrundlagen, helfe keine Inobhutnahme durch das Jugendamt. Die Kinder- und Jugendhilfe müsse sich für Kinderrechte einsetzen, auch politisch.
„Klimakrise ist eine Kinderrechtskrise“
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF warnt: 99 Prozent aller Kinder weltweit seien in mindestens einer Form klima- und umweltbedingten Gefahren und Belastungen ausgesetzt: Hitzewellen, Überflutungen oder Luftverschmutzung.
Wissenschaftler sagen, dass Extremwetterereignisse häufiger und heftiger werden. Neben alten Menschen und Menschen mit Behinderung sind Kinder am stärksten gefährdet. In Libyen sterben 2023 mehrere tausend Menschen durch die Flutkatastrophe, darunter viele Kinder. Es folgen Seuchen, Flucht und Mangelversorgung, das Trauma bleibt. 2021 starben in Deutschland bei der Flutkatstrophe an der Ahr mehrere Kinder, das jüngste war vier Jahre.
„Die Klimakrise ist eine Kinderrechtskrise“, betont Paloma Escudero, UNICEF-Sonderberaterin für Kinderrechte und Klimapolitik. „Jede Regierung hat die Pflicht, die Rechte jedes Kindes in jedem Winkel der Erde zu schützen.“
Kinder fordern Gerechtigkeit
Tut Deutschland genug für Klima- und Kinderschutz? Nein, sagt der Expertenrat für Klimafragen, der die Bundesregierung berät: Die Pläne reichten nicht aus, um die Emissionen schnell genug zu senken.
Keine guten Nachrichten, aber kein Grund, sie von Kindern fernzuhalten, sagt Diplompsychologe Georg Adelmann, man sollte altersgerecht mit ihnen darüber sprechen. Er engagiert sich bei Psychologists for Future. Als Ursache für Klimaangst sieht er die mangelnde Reaktion der Politiker und der Gesellschaft. „Es ist nicht die Klimakrise, die ist bewältigbar, wenn wir jetzt aktiv handeln.“
Die Kinder und Jugendlichen aus dem Berghäusle in Bayern haben beim Caritas-Fachtag in Frankfurt mutig das Wort ergriffen. Bei Fridays-for-Future-Demonstrationen forderten sie: „Ausstieg aus der Kohle“ und „Gerechtigkeit“. „Das finde ich wichtig, dass unsere Kinder – gerade in der Jugendhilfe – das Recht haben, sich zu beschweren und Politik zu adressieren“, sagt Berghäusle-Leiterin Selina Bitzer.
Schließlich geht es um ihre Zukunft. „Wenn wir alle schon lange nicht mehr sind“, sagte EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra zum Abschluss der Weltklimakonferenz COP28, „müssen unsere Kinder und deren Kinder damit leben, was wir zurückgelassen haben – dem Guten und dem Schlechten.