Inzwischen ist COVID-19 kein Thema mehr, es sei denn, man selber oder nahestehende Menschen leiden unter Long COVID. Dabei ist sogenannter „Brain Fog“, also Gehirnnebel, eine der häufigsten und lang anhaltenden Beschwerden bei Patienten mit Long COVID.
Betroffene mit Brain Fog berichten über Probleme bei der Arbeit und im Leben, ihnen fällt Multitasking schwer, sie können sich schlecht an Details, Termine oder Fristen erinnern. Sie können große Informationsmengen schlecht zusammenfassen und sich schlecht auf anstehende Aufgaben konzentrieren. Sie leiden unter Kopfschmerzen oder Schwindel sowie unter einer krankhaften Erschöpfung. Undichte Blutgefäße könnten dafür verantwortlich sein.
Schutzloses Gehirn
Forschende des Trinity Colleges Dublin haben herausgefunden, dass eine Infektion mit dem SARS CoV-2 Virus das Blutversorgungssystems im Gehirn stört. Dadurch werden die Blutgefäße durchlässiger, das Gehirn wird schlechter vor anderen Krankheitserregern und schädlichen Stoffen im Blut geschützt. Denn normalerweise schirmen spezielle Zellen der „Blut-Hirn-Schranke“ unser Gehirn vor schädlichen Stoffen und Erregern ab.
„Zum ersten Mal konnten wir zeigen, dass undichte Blutgefäße im menschlichen Gehirn zusammen mit einem hyperaktiven Immunsystem die Hauptursache für Gehirnnebel im Zusammenhang mit Long COVID sein können“, erklärte das Team um Matthew Campbell vom Trinity College Dublin im Fachmagazin „Nature Neuroscience“.
Der Brain Fog steht also in einem direkten Zusammenhang mit einer sehr starken Immunreaktion, mit der sich der Körper gegen das Virus wehrt. Dies hatte in der vergangene Woche auch eine Studie der Berliner Charité ebenfalls im Fachmagazin „Nature Neuroscience“ belegt. Untermauert wurden die Erkenntnisse der Charité mit umfassenden molekularbiologischen und anatomischen Ergebnissen aus Autopsie-Untersuchungen.
Keine Anzeichen für direkte Infektion des Gehirns
Wie genau die Blut-Hirn-Schranke gestört wird, muss noch weiter untersucht werden, aber mittels bildgebender Verfahren konnten die Forschenden die Störung sichtbar machen. Bei dem verwendeten Verfahren, einer sogenannten dynamischen kontrastmittelbasierten Perfusions- Magnetresonanztomografie, zeigte sich, dass bei Patienten mit Brain Fog mehr Kontrastmittel in das Hirngewebe außerhalb der Blutkapillaren gelangt, weil die Blut-Hirn-Schranke gestört ist.
In der Charité-Studie fanden die Forschenden keine Anzeichen für eine direkte Infektion des Gehirns. Allerdings konnte in einigen Fällen das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachgewiesen werden. „SARS-CoV-2-infizierte Nervenzellen haben wir jedoch nicht gefunden“, betont Dr. Helena Radbruch, Leiterin der Arbeitsgruppe Chronische Neuroinflammation am Institut für Neuropathologie der Charité.
„Wir gehen davon aus, dass Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen haben und dann ins Gehirn gewandert sind. Sie tragen noch immer das Virus in sich, es infiziert aber keine Gehirnzellen. Das Coronavirus hat also andere Zellen des Körpers, nicht aber das Gehirn befallen.“
Gehirn überreagiert auf Entzündung im Körper
Laut Charité-Studie kommt es bei den Betroffenen zu einer Art Überreaktion im Körper. So fahren einige Zellen im Gehirn den sogenannten Interferon-Signalweg hoch, der bei einer viralen Infektion aktiviert wird.
„Vereinfacht interpretieren wir unsere Daten so, dass der Vagusnerv die Entzündungsreaktion in unterschiedlichen Organen des Körpers ’spürt‘ und darauf im Hirnstamm reagiert – ganz ohne eine echte Infektion von Hirngewebe“, resümiert Helena Radbruch. „Auf diese Weise überträgt sich die Entzündung gewissermaßen aus dem Körper ins Gehirn, was dessen Funktion stören kann.“
Wenn die gestörte Blut-Hirn-Schranke für den Gehirnnebel mitverantwortlich ist, könnte dies auch für andere neurologische Erkrankungen von großer Bedeutung sein.
Denn eine Virusinfektion, die das Gehirn schädigt, wird auch zum Beispiel bei Multipler Sklerose (MS) vermutet. Ob auch bei MS eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke vorliegt, will das irische Team vom Trinity College nun eingehender untersuchen.