Bürgergeldreform: Geplante Änderungen im Kabinett
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Keine Karenzzeit, härtere Sanktionen und ein neuer Name: Die Regierung hat sich bei der Bürgergeldreform auf letzte Details geeinigt. Heute ging der Entwurf zur Grundsicherung durch das Bundeskabinett. Was soll sich ändern?
Das Bürgergeld steht vor fundamentalen Veränderungen. Diese ReformReform Eine Reform bezeichnet eine gezielte Veränderung oder Verbesserung bestehender Strukturen, Gesetze, Systeme oder Prozesse. Ziel ist es, Missstände zu beseitigen, Abläufe zu modernisieren oder gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Rahmenbedingungen anzupassen. Reformen können einzelne Bereiche betreffen oder umfassende Veränderungen auslösen und entstehen oft aus gesellschaftlichem, technischem oder politischen Bedarf. #Erneuerung #Umgestaltung #Neuausrichtung #Strukturreform ist für koalierende Parteien von hoher Sensibilität, da sie sowohl die Union als auch die SPD betrifft. Während die Union ein zentrales Wahlversprechen umsetzt, sieht sich die SPD durch die Rückabwicklung ihres eigenen Projekts, das unter der vorherigen Regierung eingeführt wurde, mit Widerständen konfrontiert. Nicht zuletzt haben Teile der SPD-Jugend ein Mitgliederbegehren gegen die Reform initiiert. Trotz dieser Kontroversen hat sich die Koalition nun auf die wesentlichen Details geeinigt.
Was soll sich ändern?
Ein zentraler Aspekt der Reform ist die Umbenennung in Grundsicherung, die auch mit verschärften Bedingungen einhergeht. Künftig werden Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen deutlich schneller und härter durchgesetzt. Beispielsweise kann bei der Ablehnung eines angemessenen Jobangebots die monatliche Zahlung um 30 Prozent für drei Monate gekürzt werden. Dies entspricht aktuell etwa 150 Euro weniger im Monat. Zudem können wiederholte Versäumnisse von Terminen im Jobcenter zur vollständigen Streichung aller Leistungen führen.
Die Reform sieht auch vor, dass Mitwirkungspflichten strenger durchgesetzt werden. Wer ohne triftigen Grund bei zwei Terminen im Jobcenter fehlt, muss mit einer Geldkürzung von 30 Prozent rechnen. Das Versäumen eines dritten Termins führt zur vorübergehenden Streichung aller Zahlungen, während die Miete direkt an den Vermieter überwiesen wird. Sollten Betroffene innerhalb eines Monats im Jobcenter erscheinen, werden die verminderten Leistungen rückerstattet. Nach Ablauf dieser Frist entfällt jedoch der Anspruch auf jegliche Leistungen.
Auf der anderen Seite werden die Förderangebote ausgeweitet. Künftig wird nicht mehr die Dauer der Arbeitslosigkeit, sondern die Bezugsdauer von Leistungen ein Kriterium für den Zugang zu geförderten Arbeitsverhältnissen sein. Diese Änderung kommt insbesondere Frauen und Geflüchteten zugute, die bis dato zwar Leistungen erhalten haben, jedoch aufgrund von Faktoren wie Kinderbetreuung oder der Teilnahme an Integrationskursen nicht als arbeitslos galten.
Welche Punkte waren zuletzt strittig?
In den letzten Diskussionen innerhalb der Koalition war ein zentraler Streitpunkt, ob betroffene Personen vor der vollständigen Streichung ihrer Leistungen eine persönliche Anhörung erhalten sollten. SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas wollte dies durchsetzen, um sicherzustellen, dass die Sanktionen gezielt und gerecht angewendet werden, insbesondere um Menschen mit psychischen Erkrankungen zu schützen. Auf der anderen Seite gab es Bedenken innerhalb der Union, dass eine solche Anhörung die Effektivität der Sanktionen untergraben könnte. Zwei Ministerien, die von der Union geleitet werden, haben sich daher gegen Bas’ Vorschlag ausgesprochen.
Die Koalition hat sich nun auf einen Kompromiss geeinigt. Anstatt einer verpflichtenden Anhörung wird eine weichere Formulierung verwendet, die einen Kontaktversuch beinhaltet. Personen, die als nicht erreichbar gelten, sollen die Gelegenheit erhalten, vor der Streichung ihrer Leistungen gehört zu werden. Dies bedeutet, dass das Jobcenter aktiv versuchen muss, Kontakt herzustellen und die Anhörung anzubieten. Wenn dies misslingt, kann das Verfahren trotzdem fortgesetzt werden.
Wer bekommt überhaupt Bürgergeld?
Im Jahr 2024 bezogen rund 5,5 Millionen Menschen sowie deren im Haushalt lebenden Kinder Bürgergeld. Davon waren knapp vier Millionen erwerbsfähig, wobei etwa 800.000 als aufstockende Leistungsbezieher gelten, deren Einkommen unterhalb des Bürgergeld-Niveaus liegt. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund innerhalb dieser Gruppe liegt bei etwa 48 Prozent. Arbeitslose erhalten zunächst ein Jahr lang Arbeitslosengeld, bevor sie Anspruch auf Bürgergeld haben.
Was wird fürs Bürgergeld ausgegeben?
Die Ausgaben für das Bürgergeld beliefen sich im Jahr 2024 auf 51,7 Milliarden Euro. Davon wurden 29,2 Milliarden Euro für die Regelbedarfszahlungen aufgewendet, während 12,4 Milliarden Euro für Miet- und Heizkosten bereitgestellt wurden. Für Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt wurden 3,7 Milliarden Euro ausgegeben. Für 2025 werden ähnliche Ausgaben prognostiziert.
Wie viel Geld soll die Reform einsparen?
Politiker der Union, darunter Kanzler Friedrich Merz, haben Einsparpotentiale im Milliardenbereich hervorgehoben. Im Gegensatz dazu erwartet Arbeitsministerin Bas, dass es durch die Reform nicht zu nennenswerten Einsparungen kommen wird. Für 2026 schätzt ihr Ministerium die Einsparungen auf etwa 86 Millionen Euro. Zunächst führt die Reform möglicherweise zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte, könnte sich aber in den folgenden Jahren in leichte Mehrkosten umkehren, hauptsächlich durch Steigerungen bei der Bundesagentur für Arbeit.
Die Koalition hofft dennoch, dass die verschärften Sanktionen dazu beitragen, mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Kyrchner-Rechnungen legen nahe, dass 100.000 Personen, die kein Bürgergeld mehr benötigen, rund 850 Millionen Euro einsparen könnten.
Bekommen Menschen auch Bürgergeld, wenn sie noch Erspartes haben?
Die Reform sieht vor, dass die sogenannte Karenzzeit abgeschafft wird, was für Personen, die Bürgergeld beziehen, bedeutet, dass diese nicht sofort auf ihr Erspartes zurückgreifen müssen. Dies gilt jedoch ausschließlich für das Bürgergeld und nicht für das Arbeitslosengeld: Personen, die ihren Job verlieren, müssen somit nicht direkt auf ihr Vermögen zugreifen.
Seit der Einführung des Bürgergelds im Jahr 2023 können Personen im ersten Jahr ihrer Inanspruchnahme Vermögen bis zu 40.000 Euro behalten, zusätzlich 15.000 Euro für Lebenspartner. Nach Ablauf dieser Karenzzeit wird geprüft, inwiefern die übernommenen Mietkosten verhältnismäßig sind. Gegebenenfalls sind Bürgergeldempfänger dazu angehalten, umzuziehen oder einen Teil der Miete selbst zu zahlen. Autos, selbstgenutzte Immobilien und Altersvorsorge werden nicht als Vermögen berücksichtigt.
Wie ist die Rechtsprechung zu den schärfsten Sanktionen?
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2019 entschieden, dass die damaligen Regelungen für Sanktionen, die zu Kürzungen von 60 und 100 Prozent führten, nicht rechtens waren. Gleichzeitig hat das Gericht jedoch die Möglichkeit offen gelassen, dass unter bestimmten Bedingungen eine vollständige Kürzung verfassungsgemäß sein kann, insbesondere wenn Betroffene die Chance haben, durch die Annahme eines zumutbaren Jobangebots ihre Existenz eigenständig und menschenwürdig zu sichern.
Dies bedeutet, dass es theoretisch möglich ist, das Bürgergeld im Falle von Weigerung um 100 Prozent zu kürzen, solange sichergestellt ist, dass bei Aufhebung der Weigerung die staatlichen Leistungen wieder zur Verfügung stehen. Ob die neuen Regelungen den Anforderungen des Verfassungsgerichts gerecht werden, wird im Zweifelsfall erneut dieses prüfen müssen.
Mit Informationen von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion
Fazit: Anpassungen und Herausforderungen des Bürgergeldes
Die anstehende Reform des Bürgergeldes ist von tiefgreifenden Veränderungen geprägt, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringen. Während Verschärfungen der Sanktionen und neue Kriterien für den Leistungsbezug angestrebt werden, bleibt abzuwarten, wie sich diese Maßnahmen auf die Zielgruppe und den Arbeitsmarkt auswirken werden. Der Erfolg der Reform hängt entscheidend von der Umsetzung und den gesellschaftlichen Reaktionen ab.

