Die Herausforderungen der Modeindustrie im Umgang mit Alttextilien

Weltweit landen jedes Jahr etwa 120 Millionen Tonnen Kleidung im Müll. Dies entspricht der Füllmenge von mehr als 200 Fußballstadien. Ein erheblicher Teil dieser Bekleidung wurde nur wenige Male getragen, da Konsumenten im Durchschnitt ein Kleidungsstück nach lediglich sieben bis zehn Einsätzen in die Altkleidersammlung geben oder es gleich entsorgen. Diese Praxis führt zu enormen Müllbergen, die in manchen Regionen, wie beispielsweise der Atacama-Wüste in Chile, inzwischen derart groß sind, dass sie sogar aus dem All sichtbar sind.

Eine aktuelle Analyse der Boston Consulting Group (BCG) zeigt, dass der ungenutzte Rohstoffwert dieser Alttextilien jährlich rund 150 Milliarden US-Dollar beträgt. Bei einer erfolgreichen Etablierung von Recyclingprozessen im industriellen Maßstab könnten über 50 Milliarden US-Dollar in Form neuer Fasern zurückgewonnen werden. Diese Umstellung könnte zusätzlich bis zu 180.000 neue Arbeitsplätze schaffen und einen signifikanten Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten.

Ursachen für den Anstieg von Textilmüll

Die weltweite Faserproduktion hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt, was mit einem signifikanten Anstieg im Ressourcenverbrauch und der Abfallmenge einhergeht. Schätzungen zufolge entstehen über 90 Prozent der CO₂-Emissionen in der Modebranche während der Gewinnung und Verarbeitung neuer Rohstoffe. Darüber hinaus führen die Verbrennung oder Deponierung von Alttextilien sowie die Mikrokunststoffbelastungen durch offen gelagerte synthetische Fasern zu zusätzlichen Umweltproblemen.

Ein weiteres zentrales Problem besteht darin, dass viele Altkleider in ärmere Länder exportiert werden, wo fehlende Recyclinginfrastrukturen dazu führen, dass diese ebenfalls auf riesigen Müllhalden enden. Dies setzt lokale Märkte für Textilprodukte unter Druck und trägt zur Entstehung von unkontrollierten Müllansammlungen bei.

Regulatorischer Druck und Maßnahmen zur Veränderung

Auf politischer Ebene reagiert man zunehmend auf die Herausforderungen der Textilindustrie. In der Europäischen Union gehören Textilien zu den fünf Konsumgüterkategorien mit den größten Klimaauswirkungen. Neue gesetzliche Regelungen, wie die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR), verpflichten Marken und Händler, für die Rücknahme und das Recycling ihrer Produkte zu sorgen. Ähnliche Initiativen sind auch in den USA, Kanada und Chile in Planung.

Parallel dazu investieren erste Unternehmen in textile Kreislaufprojekte. Marken wie Adidas, New Balance und Puma beginnen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Prognosen deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach recycelten Fasern bis zum Jahr 2030 das Angebot um 30 bis 40 Millionen Tonnen übersteigen könnte, was ein vielversprechendes Zeichen für das wirtschaftliche Potenzial dieser Branche darstellt.

Herausforderungen im Recyclingprozess

Trotz eines zunehmenden Bewusstseins für die Problematik bleibt die Recyclingquote in der Modeindustrie besorgniserregend niedrig. Nach aktuellen Schätzungen werden lediglich 7 Prozent des gesamten Textilabfalls als Rohstoffquelle genutzt, während weniger als 1 Prozent tatsächlich in neue Fasern umgewandelt wird. Die Gründe hierfür sind vielschichtig:

  1. Kosten und Qualität: Recycelte Materialien sind häufig teurer und schwer zu integrieren in vorhandene Produktionsketten.
  2. Unzureichende Infrastruktur: Die bestehenden Sammel- und Sortiersysteme sind meist auf den Wiederverkauf ausgerichtet und nicht auf das Recycling.
  3. Technische Grenzen: Mischgewebe aus verschiedenen Fasern lassen sich mit den gegenwärtigen Verfahren nur schwer separieren.

Strategien zur Förderung der Textilkreislaufwirtschaft

Um die Textilkreislaufwirtschaft voranzutreiben, empfiehlt die BCG einen umfassenden Maßnahmenmix, der verschiedene Ansätze integriert. Dazu zählen:

  • Nachfrage fördern: Marken sollten gemeinsam den Absatz recycelter Fasern erhöhen und Vermarktungsstrategien entwickeln.
  • Sammelsysteme ausbauen: Es sind sowohl öffentliche als auch private Initiativen gefordert, um ein flächendeckendes Sammelsystem zu schaffen.
  • Sortierung modernisieren: Der Einsatz moderner, automatisierter Verfahren, wie KI-gestützter Technologien, kann die Materialtrennung präzisieren.
  • Recyclinglösungen skalieren: Die industrielle Kapazität zum Recycling sollte ausgebaut und neue Technologien, wie chemisches Recycling, implementiert werden.
  • Innovation finanzieren: Kooperationen zwischen Marken, Produzenten und Investoren sind nötig, um innovative Verfahren zur Marktreife zu bringen.

Ein Blick auf Transformationen in anderen Branchen, wie dem deutschen Pfandsystem, zeigt, dass erhebliche Rücklaufquoten von 98 Prozent erreicht werden können. Ebenso sank der Preis für Solarenergie durch koordinierte Investitionen binnen einem Jahrzehnt um 89 Prozent. Es steht außer Frage, dass auch die Modebranche von einem ähnlichen Wandel profitieren kann.

Fazit: Die Notwendigkeit nachhaltiger Lösungen

Die Herausforderungen der Textilindustrie im Zusammenhang mit Alttextilien sind vielschichtig und erfordern ein ganzheitliches Ansatz zur Verbesserung. Durch gezielte Maßnahmen und Investitionen in innovative Lösungen kann das Potenzial der Kreislaufwirtschaft erfolgreich genutzt werden. Die Schaffung eines nachhaltigen Modells ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern bietet auch ökonomische Chancen.