Ist das Losen eine willkürliche Entscheidung?
Geplante Erhöhung der Bundeswehrstärke
Die Bundeswehr steht vor der Herausforderung, ihre Truppenstärke angesichts der aktuellen Sicherheitslage erheblich zu erhöhen. Der Plan sieht vor, die Anzahl der Soldaten von derzeit 183.000 auf 260.000 zu steigern. Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie ist die Förderung des freiwilligen Wehrdienstes. Um für junge Menschen attraktiver zu werden, sollen insbesondere die finanziellen Anreize in Form eines höheren Soldes verbessert werden. Sollte diese Strategie nicht den gewünschten Erfolg bringen, plant die Koalition, auf Anregung der CDU/CSU, eine limitierte Einberufung junger Männer durch Losverfahren, um das erforderliche Soll zu erreichen. Diese Entscheidung fiel in einer Arbeitsgruppe zwischen den Koalitionspartnern, angeführt von Norbert Röttgen (CDU) und Siemtje Möller (SPD).
Rechtliche Fragen zur Losziehung
Der Verteidigungsminister Boris Pistorius hat zwar ein Veto gegen die neue Einigung eingelegt, steht der Idee der Losziehung jedoch nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Pistorius strebt an, dass alle jungen Menschen eines Jahrgangs zur Musterung eingeladen werden. Ein möglicher Kompromiss könnte so aussehen, dass zwar alle gemustert werden, jedoch nur eine begrenzte Anzahl für den Wehrdienst ausgewählt wird. Die zentrale Frage bleibt allerdings, ob eine Auslosung der Wehrpflichtigen verfassungsrechtlich zulässig ist. Der Jurist David Werdermann argumentiert in einem Gutachten für Greenpeace, dass dies nicht der Fall sei. Zum einen sei im Grundgesetz eine „allgemeine“ Wehrpflicht definiert, die einen umfassenden Einzug von jungen Männern vorsieht. Zum anderen müsse die Auswahl nach objektiven Kriterien erfolgen, während ein Lotterie-System als willkürlich und ungerechtfertigt betrachtet wird, da es zu einer massiven Ungleichbehandlung führen könnte.
Chancengleichheit durch Losverfahren?
Im Gegensatz dazu steht die Sichtweise von Udo Di Fabio, einem ehemaligen Verfassungsrichter, der in einem Gutachten für die CDU/CSU-Fraktion zu dem Schluss kommt, dass die Losziehung nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Di Fabio hebt hervor, dass das Grundgesetz keine „allgemeine“ Wehrpflicht im herkömmlichen Sinne vorsehe, sondern dass die Idee einer solchen Pflicht eher eine Konstruktion der rechtlichen Auslegung sei. Diesbezüglich führt er an, dass eine Einberufung von bis zu 300.000 jungen Männern jährlich die Bundeswehr überlasten und die Landesverteidigung gefährden könnte. Somit könnte der Bundestag entscheiden, eine „Kontingent-Wehrpflicht“ für einen Teil des Jahrgangs einzuführen. Di Fabio betrachtet die Zufallsauswahl als eine faire Methode, die Chancengleichheit gewährleistet und Manipulationsversuche ausschließt.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Beide, Werdermann und Di Fabio, sind sich einig, dass Willkür bei der Wehrpflicht ausgeschlossen sein muss. Die Debatte entbrannt darüber, ob das Losverfahren eine willkürliche Auswahl darstellt oder diese vielmehr verhindert. Beide Argumentationslinien sind juristisch fundiert und würden bei einer möglichen Einführung einer Los-Wehrpflicht letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden müssen. Optimal wäre es, die neuen Regelungen durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit direkt im Grundgesetz zu verankern; jedoch erscheint dies aufgrund der ablehnenden Haltungen der Grünen, Linken und AfD gegen die Los-Wehrpflicht zurzeit als unrealistisch.
Fazit: Verfassungsrechtliche Herausforderungen der Wehrpflicht
Die aktuellen Bestrebungen zur Erhöhung der Truppenstärke der Bundeswehr kündigen eine komplexe Debatte über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Wehrpflicht an. Das geplante Losverfahren könnte sowohl Chancen als auch Risiken bergen, was die Einhaltung verfassungsrechtlicher Standards angeht. Die aktuellen Perspektiven zusammen mit den unterschiedlichen Meinungen renommierter Juristen verdeutlichen, dass eine finale Klärung durch das Bundesverfassungsgericht notwendig sein wird, um sowohl rechtliche Konflikte zu lösen als auch um das Vertrauen in die Wehrpflicht als Institution zu stärken.

